Praxisbeispiel Folge 14
Wie war die Ernte?

EIn Pflichtthema. Sarah Bernhard lockt ihre Leser aufs Feld

Fränkischer Tag, 5. September 2011

Zu kurz, zu kahl, zu grün

Raps und Wintergerste hat es am schlimmsten erwischt: Die Trockenheit zwischen März und Juni hat in manchen Gebieten fast die Hälfte der Ernte vernichtet. Dafür sind die Preise deutlich gestiegen.

Sarah Bernhard

Wickendorf — Der Hafer reicht Egon Martin bis zu den Oberschenkeln. In einem guten Jahr wäre er ihm bis zur Hüfte gegangen. Es war aber kein gutes Jahr. Von März bis Juni hat es kaum geregnet, die Ähren blieben klein. Sie hätten sich verzweigen sollen, hatten aber nicht genug Energie.

Dann kam der Regen – und die Samen keimten ein zweites Mal. Im Juni. Zwiewuchs nennt man das. Die neuen Triebe stehen jetzt zwischen den reifen Ähren – sind selbst aber unreif.

Das Haferfeld von Egon Martin ist also zu kurz, zu kahl und zu grün. Der Bauer aus Wickendorf muss sein weniges Getreide deshalb zusätzlich trocknen, sonst verdirbt es. Gas braucht er dazu. Und Strom. Alles zusätzliche Kosten. Und das ist nur der Hafer.

Noch schlimmer sieht es beim Raps aus. 20 bis 30 Prozent des Rapses hat Egon Martin gar nicht erst geerntet – es hätte sich nicht gelohnt. „Durchwegs unterdurchschnittlich“ sei die Ernte bei Raps und Wintergerste gewesen, bestätigt Ernst Baierlein vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF). Die Erträge bei Braugerste, Roggen,Winterweizen und Triticale, eine Mischung aus Roggen und Weizen, lägen hingegen im Durchschnitt.

Das kann Landwirt Egon Martin nicht bestätigen. Auf etwa der Hälfte seiner Felder steht Braugerste – auch sie nicht dicht genug. Dazu kommt: Er hat Braugerste gesät und Futtergerste bekommen. Denn der Eiweißanteil im Korn ist zu hoch, die Qualität damit zu niedrig. Kommt vom Zwiewuchs. Und bringt nur 18 Euro pro Dezitonne. Für Braugerste bekommt ein Bauer 25 Euro. „Mit Rückschlägen muss man leben, aber wenn es zu dick kommt, wird man missmutig“, sagt der Landwirt, der heuer das letzte Mal erntet, bevor er in Rente geht.

Für die oberfränkischen Bauern ist es schon die zweite Missernte. Vergangenes Jahr hat es während der Erntezeit zu viel geregnet. „Die Landwirtschaft schwankt immer wieder mal, aber so krass wie in den vergangenen zwei Jahren war es noch nie“, sagt Egon Martin. Das bestätigt auch Ewald Münch, Landwirt und Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes (BBV). Seit 15 Jahren nähmen die Wetterkapriolen zu. „Ein Zeichen für die Klimaveränderung“, ist sich der Landwirt sicher. Auch er hat 30 Prozent seines Rapses nicht geerntet. Und 30 Prozent weniger Ertrag bei seiner Wintergerste.

Recht glücklich sind beide über den Mais. Der sei zwar noch nicht im Silo, aber die Prognose sei gut, sagt Ewald Münch. Ernst Baierlein vom AELF bestätigt: „Bei Mais ist sogar mit überdurchschnittlichen Erträgen zu rechnen.“ Auch Egon Martin stimmt ins Loblied auf den Mais ein – allerdings für die anderen: „Die Biobauern mit ihren Biogasanlagen haben dieses Jahr ein gutes Ding.“ Denn Biogasanlagen werden mit Mais betrieben. Er selbst hat nur auf acht Hektar Mais angebaut – Braugerste hingegen auf rund 70 Hektar.

Ein Glück für alle Bauern sind die gestiegenen Preise. 20 bis 25 Prozent höher als im vergangenen Jahr seien 2011 die Getreide- und Rapspreise, sagt Ernst Baierlein. Mit einer Zunahme der Insolvenzen sei nicht zu rechnen.

Und tatsächlich: Für Kreisobmann Ewald Münch gleichen sich Ertragsverluste und Preissteigerungen fast aus – er hatte keinen Zwiewuchs und konnte die Kriterien für Braugerste großteils einhalten. EgonMartin findet die Situation hingegen „schon existenzbedrohend, weil der Aufwand ist ja trotzdem da.“ Aber jeder Bauer wisse: Die Natur könne man nicht beherrschen. Ewald Münch sieht das genauso: Welche Veränderungen es auch gebe, „Wasser wird zukünftig immer der begrenzende Faktor bei der Ernte sein.“

Analyse

Die Farben im Schaubild zeigen, wie musterhaft die Auftritte von Bauer und Funktionären ineinander gewoben sind. Die Zeichnerin Brigitte Seibold (www.prozessbilder.de) hat die drei Protagonisten mit ihren Vornamen bezeichnet. Sie heißen einfach zu schön: Egon (Martin), Ernst (Baierlein) und Ewald (Münch). Wäre das nicht Zufall, man müsste von genialem Casting sprechen.

Sprödes Thema mit Charme und Anmut

Auch wenn der Text keine dramatische Handlung erzählt – es sind Elemente des Storytelling, die seine Qualität ausmachen: die lebendige und anschauliche Sprache, die Wahl einer Hauptperson als roter Faden und das feine Muster, das mehrfach vom Besonderen zum Allgemeinen wechselt. So wird ein sprödes Pflichtthema zur Lektüre, die erfreut und belehrt.

Der Bauer und die Funktionäre

Bauer Egon Martin ist zuständig für Getreidesorten und die Anschauung. Am Beispiel seines Hafers erklärt Sarah Bernhard den Zwiewuchs und an seiner Gerste die Sache mit dem Eiweißanteil. Die Funktionäre Ernst Baierlein und Ewald Münch liefern Statistik und Vergleiche. Ewald Münch, selbst Landwirt, tritt vor allem in seiner Funktion als Kreisobmann seines Verbandes auf.

Vom Besonderen zum Allgemeinen

Der klare Rhythmus von abstrakt und konkret bestimmt den Verlauf des Textes. In Stichworten: Hafer und Raps von Bauer Martin/ Durchschnittszahlen allgemein/ Braugerste von Bauer Martin/ das Wetter und der Klimawandel/ Mais bei Bauer Martin/ die Preise im Allgemeinen

Höchst anschaulich: Das Körpermaß

Bauer Martin ist der rote Faden der Geschichte, sein Oberschenkel das Maß der Mißernte. Eine tolle Idee, denn der Leser spürt die Diskrepanz zwischen Erwartung und Ertrag am eigenen Leib. Unwillkürlich misst er selbst „von da bis da“ und fühlt: Da fehlt ein ganzes Stück.

Die Sprache

Die Überschrift ist kurz, knapp, konkret. Und so schön einsilbig. Das Geheimnis guter Boulevard-Überschriften („Wir sind Papst“) – mit kurzen, einfachen Worten Wesentliches auszudrücken – lässt sich selbstverständlich auch im seriösen Journalismus anwenden.

In Korrespondenz mit dem Foto führt die Überschrift sofort in die erste Szene. Die Sprache hält, was sie in der Überschrift verspricht. Die Autorin rhythmisiert Sätze und schafft so Tempo und Spannung. Das hält sie durch bis die Funktionäre kommen. Gegen Ämter wie das „für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten“ ist dann doch kein Kraut gewachsen.

Leserführung

Die Überschrift verspricht Tempo und einen verständlichen Text. Die Fotos lassen einen Bauern als Hauptfigur erwarten – und Getreide im Detail. Schon der erste Satz entspricht diesen Erwartungen: „Der Hafer reicht Egon Martin bis zu den Oberschenkeln“. Schön ist das, wenn alles auf der Seite zum Leser sagt: Hallo, steig ein.

Autorin

Sarah Bernhard

Sarah Bernhard, 1983 in Reutlingen geboren, studierte Allgemeine Rhetorik, Politik und Philosophie. Während ihres Studiums arbeitete sie für Radio- und Printredaktionen (u. a. Südwest Presse, Stuttgarter Nachrichten, dpa). Seit April 2011 volontiert sie bei der Mediengruppe Oberfranken und verarbeitet nebenbei in ihrem Blog „Verloren in Franken“ den Kulturschock, den der Umzug von Baden-Württemberg nach Bayern mit sich gebracht hat.

Ich habe mir einen Leser vorgestellt, der in Bamberg sitzt und mit Landwirtschaft nichts zu tun hat, und mich daran orientiert: Ich habe einfach bei Null angefangen und mir alles erklären lassen.

Nachdem ich meine Magisterarbeit abgegeben hatte, habe ich mir geschworen, nie mehr lange Sätze zu machen. Und bei diesem Text boten sich kurze Sätze ja besonders gut an – es gibt dem Text mehr Geschwindigkeit, dann lesen ihn vielleicht mehr Leute. Dass es nicht zu simpel klingt, liegt glaube ich an der Mischung von ganz kurzen und längeren Sätzen, das wird eher als Stilmittel erkannt und wirkt nicht so banal wie viele einfache Subjekt-Verb-Objekt-Sätze hintereinander.

Ich habe viele Informationen von den Verbandvertretern Münch und Baierlein bekommen, nach denen habe ich dann beim Bauern gefragt. Im Text habe ich das dann umgedreht – da bestätigt der vom Bauernverband das, was der Bauer gesagt hat. Wenn ich es recht bedenke, mache ich das oft so – damit die Offiziellen zu Wort kommen, aber das meiste ganz konkret am Protagonisten gezeigt wird.

Wenn ich den Text nochmal schreiben würde, würde ich mit dem Bauern aufhören. Bei dem Termin war auch seine Tochter dabei, ich würde sie fragen, was ihr Vater macht, wenn er heimkommt und die Gerste ist immer noch grün, vielleicht raucht er drei Stunden Pfeife oder so. Ich würde herausfinden wollen, was er fühlt: Ich meine, das war seine letzte Ernte vor der Rente, und sie war schlecht …

Bei den Artikeln über Ernte, die ich vorher gelesen hatte, waren sehr oft Mähdrescher zu sehen! Keinen Menschen interessiert ein Foto mit einem Mähdrescher drauf. Ich habe darauf geachtet, dass man auf dem Foto sieht, dass ihm das Getreide eben nicht bis zur Hüfte geht, sodass das Foto zur Anfangsszene passt.