Praxisbeispiel Folge 7
Der neue Unimog

Die Gemeinde Ahorn in Oberfranken vermeldet: wir schaffen einen neuen Unimog an. Oliver Schmidt findet den Dreh für eine Geschichte.

Coburger Tagblatt, 28. Oktober 2011

„Das wird meine zweite Heimat!“ 

Wolfgang Harnauer arbeitet seit 20 Jahren beim Bauhof in Ahorn. Der bevorstehende Winter wird für ihn wieder eine besonders anstrengende Zeit. Erleichterung im Kampf gegen Eis und Schnee verspricht aber ein neues Fahrzeug, das die Gemeinde gekauft hat.

Von Oliver Schmidt

Ahorn — Das Auto riecht nicht nur neu, es knistert auch neu. Die Sitze sind noch mit Zellophan verhüllt, als Wolfgang Harnauer hinter dem Lenkrad Platz nimmt. „Ich freue mich“, sagt der Vorarbeiter im Ahorner Bauhof, „dieses Auto wird uns die Arbeit enorm erleichtern!“ Und dass ihm und seinen Kollegen jede Menge Arbeit bevorsteht, daran besteht kaum Zweifel; der Winter wird überall die Räumtrupps fordern. „Also ich könnte auch ohne Winter leben“, meint Wolfgang Harnauer und inspiziert die vielen Knöpfe und Schalter im Fahrerhaus. Langsam lässt er die Fensterscheibe nach unten gleiten und schaut raus: „Aber wir werden uns der Herausforderung stellen – und sie auch meistern!“

So spricht jemand mit Erfahrung. Seit 20 Jahren arbeitet Wolfgang Harnauer mittlerweile beim Ahorner Bauhof. So  mit war der alte Unimog, der jetzt einem neuen Platz gemacht hat, von Anfang an sein Wegbegleiter. „Das war schon manchmal Knochenarbeit“, erinnert sich Wolfgang Harnauer. Alleine das Kuppeln und Schalten ist nicht ohne, wenn man auf verschneiter Straße mit einem PS-Monster unterwegs ist und dabei noch ein Auge aufs Räumen und Streuen haben muss. Hinzu kommt, dass es in der Gemeinde Ahorn während der Wintermonate gleich mehrere knifflige Stellen gibt: den steilen Sandberg etwa, oder den ebenso steilen wie noch dazu stark befahrenen Ahorner Berg; nicht zu vergessen die Straßen in Richtung Hohenstein, auf denen es regelmäßig Schneeverwehungen gibt.

„Wir haben ein gutes Team“, lobt Bürgermeister Martin Finzel (parteilos) die insgesamt acht Mitarbeiter von Bauhof und Gemeindewerke, die zwei Räumtrupps bilden und im vergangenen Winter rund 2500 Stunden im Einsatz waren. Auch deshalb ist bei Martin Finzel die Freude groß, dass diesen fleißigen Menschen der oft sehr schwere Job zumindest ein bisschen einfacher gemacht wird mit dem neuen, modernen Fahrzeug.

Doch während sich Wolfgang Harnauer mit weiteren technischen Details des Unimogs vertraut macht („Im Winter wird das meine zweite Heimat!“), gibt Martin Finzel zu, dass vor dem Beschluss, diese kostspielige Anschaffung zu tätigen, sehr lange hin- und hergerechnet wurde. 166 000 Euro sind für eine Gemeinde wie Ahorn schließlich kein Pappenstil. Doch die Kalkulation sah schließlich wie folgt aus: Der neue Unimog spart im Vergleich zu seinem Vorgänger – der war Baujahr 1986 – ordentlich Kraftstoff. Außerdem kann er in den Sommermonaten auch für Mäharbeiten eingesetzt werden, die bislang an Fremdfirmen vergeben worden sind. Insgesamt spart das jährlich gut 11 500 Euro. Bei einer durchschnittlichen Unimog-Lebensdauer von 25 Jahren müsste sich die Neuanschaffung also rentieren.

Doch Bauamtsleiter Rainer Scholz sieht das neue Fahrzeug nicht nur unter dem Gesichtspunkt Wirtschaftlichkeit. Mit Blick auf die Einsatzmöglichkeit auch im Sommer sagt er: „Es wird helfen, das Erscheinungsbild von Ahorn zu verbessern – wir wollen ein bisschen mehr glänzen!“

Worin der Vorteil liegt, dass die Mäharbeiten künftig nicht mehr von einer Fremdfirma, sondern direkt vom Bauhof-Team erledigt werden, erklärt Wolfgang Harnauer, der seine „zweite Heimat“ inzwischen wieder verlassen hat und den schicken Unimog nunmehr von außen bestaunt. „Die Entscheidungswege werden kürzer“, sagt er. Wenn irgendwo an einem Straßenrand dringend gemäht werden sollte, muss nicht erst bei der bislang dafür beauftragten Firma angerufen und der Auftrag erteilt werden. „Wir rücken dann halt einfach selber aus und erledigen das!“

Martin Finzel weiß, dass bei vielen anderen Kommunen der Trend eher in die andere Richtung geht – „dort wird ja sogar der Winterdienst an Fremdfirmen vergeben!“ Doch er und auch der Ahorner Gemeinderat sehen das anders, wollen bewusst den Weg mit den eigenen Mitarbeitern gehen. Allen voran Wolfgang Harnauer freut sich über dieses Vertrauen, das ihm und seinen Kollegen entgegengebracht wird. Und während er langsam und staunend einmal um den neuen Unimog herumläuft, zieht der Vertreter des Mercedes- Autohauses das Zellophan vom Sitz.

Drei Kästen:

Winterdienst

Im blauen Kunststofftank ist Platz für 750 Liter Feuchtsalzgemisch. Dieses gelangt  über den Salzstreuer, der sich hinten am Fahrzeug befindet und heruntergeklappt werden kann, auf die Straße. Sowohl den Kunststofftank als auch den Schneepflug, der bei Bedarf vorne am Unimog montiert wird, musste die Gemeinde Ahorn nicht neu kaufen; beide dienten bereits am alten Unimog, sind noch gut erhalten und passen auch für den neuen.

Fahrerkomfort

Egal, ob Schnee geräumt, Salz gestreut und Rasen gemäht werden muss: Wer mit einem Fahrzeug wie dem Unimog unterwegs ist, hat in der Regel ohnehin schon alle Hände voll zu tun. Deshalb wird Wert darauf gelegt, das eigentliche Fahren so einfach wie nur möglich zu machen. So gibt es zum Beispiel ein Automatikgetriebe und auch die Geräuschkulisse des 177 PS starken Motors ist erstaunlich klein. Hinzu kommen eine Heizung für den Winter sowie eine Klimaanlage für den Sommer.

Sommereinsatz

Was aussieht wie ein orangefarbener Kran, ist ein langer Schwenkarm, an dessen Ende sich ein  Randstreifenmäher befindet. Das macht den Unimog sozusagen zum ganzjährigen Einsatzfahrzeug: In den Wintermonaten wird der Mäher abmontiert, damit der Fahrer freie Sicht auf den Schneepflug hat, der vorne angebracht wird. Im Sommer wird dann Schneepflug gegen Mäher getauscht.

Wie man aus der Meldung eine Handlung macht

Der Autor fokussiert auf den Fahrer und sein neues Fahrzeug, Bürgermeister und Bauamtsleiter spielen Nebenrollen. Illustration Brigitte Seibold (www.Prozessbilder.de)

Der gute Dreh

Die Gemeindeverwaltung lädt ein zur Übergabe des neuen Unimogs. Oliver Schmidt gestaltet aus dem Termin eine Handlung, die für seine Leser viel interessanter ist: Er lässt sie zusehen und -hören, wie sein Held sich mit dem neuen Auto bekannt macht.

Der klare Fokus

Der Text hält, was der Lead verspricht, und die Fotos zeigen es: Es geht um den Arbeitsalltag von Wolfgang Harnauer, Vorarbeiter und Fahrer beim Bauhof.  Demnächst wird er in einem neuen Fahrzeug die Straßen rund um Ahorn vom Schnee befreien.  Der Bürgermeister und der Bauamtsleiter geben Hintergründe zum Thema.

Der richtige Mann

Emotional gefärbte Erlebnisse ermöglichen Einfühlung und Teilhabe, anders als das Aufzählen von Fakten. Beim Storytelling kommt es deshalb darauf an, einen Menschen zu finden, der gefühlsmäßig mit dem Thema verbunden ist. Das ist bei der Fahrzeugübergabe weder der Bürgermeister noch der Bauamtsleiter, es ist der Fahrer. Das gibt zudem eine Perspektive, die viele Leser kennen dürften und an die sie intensive Erinnerungen haben: Das erste Mal mit einem neuen Auto.

Das kenn ich

Der Autor knüpft an die Erfahrung seines Publikums an. Leser kennen die neuralgischen Punkte auf den Straßen um Ahorn, sie kennen das alte Fahrzeug im Straßenbild. Sie kennen aber auch die Rechnerei, ob eine Investition sich rechnet, und sie kennen die Vorfreude und Aufregung, die mit dem Eintreffen von teuren Anschaffungen verbunden ist.

Anfang, Mitte und Ende

Mit Wolfgang-Harnauer-Szenen beginnt und endet der Text. Zunächst setzt er sich hinter das Lenkrad, später inspiziert er das Fahrzeug von außen. Beide Male ist das Zellophan im Spiel.  Auch in der Mitte tritt Harnauer kurz auf, er „macht sich mit weiteren technischen Details“ vertraut.

Zusammenhang

Erzählwissenschaftler messen die Qualität eines Textes unter anderem daran, wieviele Verbindungen er innerhalb des Textes herstellt, oder anders gesagt: wieviel Zusammenhang erklärt wird. Oliver Schmidt zeigt seinen Helden, dessen Alltag und seine Begeisterung für das neue Auto. Er beschreibt aber auch sehr genau das das Konzept für die Nutzung des Unimogs, das Rechenexempel der Gemeinde und das Votum für den gemeindeeigenen Straßendienst.

Leser führen

Das Foto vom strahlenden Bauhof-Fahrer, teilfreigestellt, ist ein Hingucker und zieht in den Text. Auf einen Blick ist zu sehen, dass es um den Mann und sein Auto gehen muss, im Matchboxformat steht es unten auf der Seite. Zwischen dem Detailausschnitt oben und der Totale unten entsteht optische Spannung. Die Kästen erzählen, was das tolle Gefährt alles kann. Der Bürgermeister mit Portätfoto und Zitat in der rechten Randspalte ist als grafisches Element gedacht.

Autor

Oliver Schmidt

Jahrgang 1971, hat beim Coburger Tageblatt volontiert und bis 2001 als Redakteur in der Lokalredaktion gearbeitet. Ab 2002 war er Redakteur bei der zur Frankfurter Neuen Presse gehörenden Taunus Zeitung in Bad Homburg. Nachdem seine Familie auf nicht weniger als fünf Köpfe angewachsen war, verließ er Mitte 2008 das teure Rhein-Main-Gebiet und kehrte in die familienfreundliche Heimat zurück. Zunächst war er erneut Redakteur in der Lokalredaktion des Coburger Tageblatts, im Februar 2010 wurde er Redaktionsleiter.

Das Bild zeigt, dass sich erwachsene Männer freuen können wie Kinder über ein neues Auto.

Die Überlegung war: Wie können wir diesen Standard-Termin lebendig gestalten? Bevor wir hingegangen sind, haben wir bei der Verwaltung angerufen, um sicherzustellen, dass nicht nur der Bauamtsleiter, der Bürgermeister und ein paar Gemeinderäte bei dem offiziellen Termin da sind, sondern auch die Menschen, die etwas Persönliches erzählen können, also ein oder mehrere Fahrer.

Der Termin war im Oktober und man wusste: Bald könnte es schneien. Und Wolfgang Harnauer ist einer derer, die bei tiefster Kälte raus müssen. Er ist der rote Faden der Geschichte.