Praxisbeispiel Folge 8
Ideenland ist abgebrannt

Zwei Künstler betreiben einen Kunst-Imbiss. Er wird höchst offiziell ausgezeichnet. Als ein Brand ihren Wagen vernichtet, passiert: wenig.

Süddeutsche Zeitung, 21. November 2011

Ideenland ist abgebrannt

Von Jens Schneider

Hamburg – Den Pokal gibt es noch. Er hat das Feuer überstanden – die Kunst nicht. Katharina Kohl hat ihn in der  Asche gefunden, überzogen von einer rußschwarzen Haut. Nur wer genau hinschaut, kann die niedlichen Blumen in seinem Inneren noch erkennen. Blumen in Schwarz, Rot, Gelb,  Sinnbild der Initiative „Land der Ideen“.

Es war  Mitte Juni, als die Hamburger Malerin Katharina Kohl und der Fotograf DG Reiß ausgezeichnet wurden. Ihr Wagen stand in der Sonne vor dem Hamburger Rathaus. Kohl bekam ein Banner, „mit dem Logo der  Deutschen Bank drauf“, das hätte sie über ihren Wagen spannen können. Die Kampagne der Wirtschaft und der Bundesregierung soll zeigen, dass in Deutschland Erfindergeist und Einfallsreichtum leben, damit ein „positives Bild von Deutschland“ entsteht. Christian Wulff, der Bundespräsident, ist Schirmherr. Ausgezeichnet werden Ideen aus Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft. Kohl fand den Preis  nett. „Wir haben gedacht: Das passt zu uns.“

 Damals zogen sie schon seit sechs Jahren mit ihrem Kunst-Imbiss durchs Land. Sie hatten 2005 eine alte Frittenbude umgebaut und stellten Radierungen, Bilder und Skulpturen hinein. Es war ihre Antwort auf die prekäre Situation vieler Künstler. Nicht nur Newcomer haben es schwer, auch Maler wie Katharina Kohl, deren Bilder schon lange von Kennern geschätzt werden. Sie standen mit ihrem Kunst-Imbiss an der Hamburger Mönckebergstraße oder am Berliner Kurfürstendamm, sie hatten eigene Bilder dabei und Bilder von Kollegen – jungen und namhaften, manche hatten schon bei der  Documenta ausgestellt.

Sie zogen über Plätze und Wochenmärkte, niemand sollte denken, dass sie sich fühlten wie unter Banausen. Sie hatten viel Spaß. „Wir haben gesagt: Der Wagen ist eine Lächelmaschine“, sagt Kohl. Viele Passanten lächelten, als sie verstanden, was in dieser Bude angeboten wurde. Überall sagten Leute, es sei eine schöne Idee, dass Künstler sich als Existenzgründer versuchten. Und staunten, als Kohl erklärte, dass dies keine profitorientierte Ich-AG sei. „Ich sagte, dass wir verkaufen können, dass es aber nicht nur darum geht.“ Da bekam sie wieder ein Lächeln.  Wer macht schon so was?

Einige hat das berührt, die Abwesenheit jeglichen Geschäftssinns. Und das Paar merkte, wie schwer es selbst für anerkannte Künstler ist, von Kunst zu leben. „Du denkst: Mensch, der wird in der Kunsthalle ausgestellt, der ist gut im Geschäft. Dann merkst du, dass der Kollege eine lange Fahrt macht, um gleich das Geld abzuholen, weil wir für ihn einen Katalog zu 12 Euro 50 verkauft haben.“

Sie hatten jeden Tag Hunderte Begegnungen, auch wenn viele Passanten lieber aus sicherem Abstand staunten. Es gab Stammgäste, die fragten, ob sie heute neue Künstler im Sortiment hätten. Besonders freuten sich die zwei über Menschen, die noch nie mit Kunst zu tun hatten und nun erschrocken vor der Theke standen, weil ihnen ein Bild gefiel. Sie lacht: „Oft mussten wir Leute beruhigen.“ Gegenwartskunst für 30 Euro? Und so schön? „Die fragten: Ist das jetzt Kunst?“ Kohl antwortete: „Das wissen wir auch nicht. Das ist jetzt nicht wichtig.“ Hauptsache, sie mochten die Kunst.

Auch im Osdorfer Born hatten sie schöne Tage. Das ist ein Quartier im Hamburger Westen mit vielen Hochhäusern und keinem guten Ruf. Dorthin zogen Reiß und Kohl, nachdem sie ausgezeichnet wurden. Auch hier blieben Leute stehen, freuten sich. Nichts deutete auf das hin, was eines Morgens  Ende Juni passierte. Um 3 Uhr 25 wurde der Wagen angezündet, er brannte sofort lichterloh. Das kann man auf den Filmen der Überwachungskameras vom Einkaufszentrum sehen. Die Künstler zeigen sie jetzt, wenn sie über ihr Projekt sprechen. Auf den Bildern schlagen die Flammen in der Dunkelheit hoch, dann ist vom Wagen nur noch ein verkohltes Gerippe übrig. Feuerwehrleute laufen herum, zu spät.

Fassungslos suchte Kohl nach Resten. Sie fand nicht viel mehr als den Pokal. Die Polizei zeigte, so empfand sie es, nur kurz Eifer. Man witterte Versicherungsbetrug. Als klar wurde, dass der Wagen gar nicht versichert war, habe der Eifer stark nachgelassen, sagt Kohl. „Da fand der Beamte den Verlust nicht mehr so erheblich.“  War ja nur Kunst.

Kohl schrieb ans „Land der Ideen“, sie erwartete nicht viel, aber informieren musste sie die netten Leute ja. Es kam schnell eine herzliche Antwort, alle seien „sehr betrübt“, man könne auf der Homepage auf den „tragischen Verlust“ aufmerksam machen. Das war es dann, fast. Auf der Webseite findet man über den Brand nichts. In der Pressestelle heißt es, dass so etwas  schwierig zu kommunizieren sei. Später weist der Pressereferent auf eine Notiz in der „Mitmach-Plattform“ hin, klein, nicht leicht zu finden. Es ist ein Aufruf, ob jemand einen Imbisswagen hätte.

Auf Katharina Kohl wirkt das, als ob der Brand nicht in die positive „Land-der-Ideen“-Welt passen will. Aber das ist für sie eine Randnotiz, die beiden machen weiter. Sie haben viele kleine, private Spenden bekommen, die Stadt Hamburg hat einen Zuschuss versprochen. Noch reicht das Geld nicht. Vom „Land der Ideen“ haben sie für Ende November eine Einladung bekommen, zum  Empfang aller Preisträger aus Hamburg. Kohl überlegt, ob sie dort den verbrannten Pokal zeigen soll. Vielleicht haben sie dann schon einen neuen Wagen. Einen neuen Namen haben sie jedenfalls schon:  Brandneuer Kunst-Imbiss.

Drama, Märchen, Krimi

Ausgangspunkt ist der rußschwarze Pokal. Brigitte Seibold (www.prozessbilder.de) zeigt den Aufbau des Textes, die Rückblende und den Brand.

 

Die Heldin

Die Heldin heißt Katharina Kohl. Sie führt durch die Geschichte. Genau genommen ist sie eine Anti-Heldin. Sie interessiert sich nicht für Profit. Sie vertreibt, was sie glücklich macht: Kunst. Ihre eigene, und die von Kollegen. Sie ist die Kraftquelle in der „Lächelmaschine“. (In Wirklichkeit haben wir es mit einem Helden-Team zu tun – Kohls Partner DG Reiß gehört mit dazu. Der Autor macht ihn zur Nebenfigur. Das ist gut für den Text, denn es erleichtert die Orientierung.)

Der Gegenspieler

Er ist da und nicht da. Gegenspieler der Heldin ist der Ignorant. Brigitte Seibold hat ihn personifiziert und in ihr Schaubild gemalt, „ ich finde, der gehört da rein“. Der Ignorant steht neben dem brennenden Wagen, die Arme verschränkt. Er steht für Polizisten ohne Eifer, für die Untätigen vom „Land der Ideen“, für die Unterstellung des Versicherungsbetrugs. Man könnte auch sagen: Der Konflikt folgt dem Schema Kunst gegen Kommerz.

Das Drama

Unverdientes Leid ist tragisch, schreibt Aristoteles. Das Leid des Helden weckt das Mitleid des Publikums. Gut, wenn die Heldin so sympathisch ist wie Katharina Kohl, wenn sie gut und redlich handelt. Das steigert das Mitgefühl. Gut im Sinne der Dramatik, wenn sie vor dem Schicksalsschlag eine Auszeichnung bekommen hat, das steigert die Fallhöhe. Die äußere Handlung der Geschichte ist somit tragisch: Zwei Künstler betreiben ein Kunst-Projekt. Es wird höchst offiziell ausgezeichnet. Ein Brand vernichtet das Projekt.

Das Märchen

Die innere Handlung des Textes ist ausgesprochen poetisch: Ein Künstlerpaar missioniert mit den Mitteln der Kunst, unaufdringlich und wirkungsvoll. Es schafft Momente des Staunens und der Heiterkeit. Jens Schneider vermittelt das in Szenen und Dialogen, er beschreibt es über die Reaktion des Publikums. Seine materiell genügsamen Helden bringen „das Gute“ in eine auf Profit und Effekt angelegte Welt. Der Rückschlag trifft sie, doch aufhalten kann er sie nicht. Sie folgen ja ihrer inneren Überzeugung.

Der Krimi

Wer war`s? Warum kommt die Feuerwehr so spät? Warum wird der Fall nicht aufgeklärt? Eine Nebenstrang, der zur Spannung beiträgt.

Der Bauplan – die Rückblenden

Die Zeitenfolge in den Absätzen mit mehreren Rückblenden

Das Happy-End

Am 27. April 2012 eröffnet der „Brandneue Kunst-Imbiss“. Der SZ-Artikel hat auch Leserinnen und Leser zu Spenden veranlasst. Die Spenden wurden aber nicht nur für den Umbau eines gesponserten Imbiss-Wagens eingesetzt. Katharina Kohl sagt, ihr sei es besonders wichtig, dass mit dem Geld auch die Künstler entschädigt würden. Mit dem Geld konnte ihnen wenigstens der Materialwert der vernichteten Arbeiten ersetzt werden.

Autor

Jens Schneider

Jens Schneider, Redakteur der Süddeutschen Zeitung, wurde geboren 1963 in Hamburg, studierte einige Semester Politik und Wirtschaft und besuchte die Henri-Nannen-Journalistenschule. Für die SZ berichtete er seit 1991, zunächst aus München über den Balkan, dann aus Dresden über Ostdeutschland. 2005 wechselte er in die Parlamentsredaktion in Berlin. Seit 2008 ist Schneider Norddeutschland-Korrespondent.

Die Kunst ist verbrannt, der Pokal übrig. Das fand ich exemplarisch für die ganze Geschichte . Als ich mich mit der Künstlerin Katharina Kohl nach dem Brand verabredete, erzählte sie mir am Telefon, dass sie den Pokal noch hätte. Sie brachte ihn dann zu einer kleinen Veranstaltung mit, bei der sie und ihr Partner über ihr Projekt sprachen. Da stand er die ganze Zeit in der Mitte auf dem Tisch. Und über den Pokal konnte ich von der imponierenden Idee des Imbisses erzählen, von den Schwierigkeiten der Künstler und wie Menschen mit der Kunst umgehen.

Nach diesem ersten Bild und dem Absatz über die Auszeichnung der Initiative „Land der Ideen“ schildere ich den Kunst-Imbiss in einer Rückblende. Im Indikativ, obwohl einige Informationen auf Erzählungen der Künstlerin zurückgehen. Ich habe den Wagen in Hamburg gesehen und einige der Gespräche erlebt. Und die Schilderungen der Künstlerin sind plausibel, etwa die Geschichte von ihrem Kollegen, der eigens kam, um die 12 Euro 50 für seinen Katalog abzuholen. Das hat mir Frau Kohl erzählt. Im Erzählfluss schildere ich, wie sie es erlebt. Im Rahmen der Reportage finde ich es vertretbar, in der Beschreibung zu bleiben.